Poop Pirates und das große Geschäft

Von Klaus Sieg · · 2024/Nov-Dez
Bogere Muhammad Sconto bei der Arbeit
Martin Egbert

Die Menschen in Ugandas Armenvierteln haben wenig Chance, jemals in den Genuss von wassergespülten Toiletten zu kommen. Doch es gibt einen Ausweg.

Holzfeuer qualmen. Hunde streunen herum. Heute ist Sonntag. Gesänge schallen aus den zu Kirchen umfunktionierten Bretterbuden im Kamwookya Slum in Kampala. Mehr als 100.000 Menschen leben hier im Norden von Ugandas Hauptstadt auf gerade einmal 200 Hektar. Zum Vergleich: Die Wiener Innenstadt umfasst 300 Hektar. Kaum schulterbreite Wege führen durch ein Gewirr aus Hütten mit Blechdächern, die in allen Verfallsstadien vor sich hin rosten. Freikirchen boomen im ostafrikanischen Land, besonders in Armenvierteln wie diesem.

Bogere Muhammad Sconto hat dafür keine Zeit. Er und die anderen von den sogenannten Poop Pirates haben zu tun. „Sonntags sind die Menschen nach dem Kirchgang meistens zuhause, deshalb holen wir immer dann das Gold ab“, sagt der 23-Jährige und schüttelt lachend den Kopf mit den kurzen Rastalocken. „Wir nennen die Fäkalien Gold, damit die Menschen deren Wert erkennen.“

Zusammen mit Küchenabfällen kompostieren sie die menschlichen Ausscheidungen, um das Endprodukt einige Monate später als Bio-Dünger zu verkaufen. Weltweit setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass jede Menge wertvolle Stoffe buchstäblich im Klo landen, allen voran Phosphor und Stickstoff. Beide sind nützlich als Dünger. Forscher:innen zufolge werden die weltweiten Phosphorreserven in naher Zukunft aufgebraucht sein. Und künstlicher Stickstoffdünger muss unter hohem Energieaufwand hergestellt werden. Sammelt man die Fäkalien in Trockentoiletten, lassen sich diese Inhaltsstoffe über das Kompostieren zum Düngen von Gärten und Feldern nutzen.

Uganda

Hauptstadt: Kampala
Fläche: 241.037 km2 (Österreich: 83.880 km2)
Einwohner:innen: 48,6 Millionen (2023)
Human Development Index (HDI): Rang 159 von 191 (Österreich 22)
BIP pro Kopf: 1.014  US-Dollar (2023, Österreich: 56.506 US-Dollar)

Große Geschäfte. Kaum eine der Hütten im Viertel verfügt über eine eigene Toilette. Die bisher gemeinschaftlich genutzten Sanitäranlagen sind schmutzig und häufig weit entfernt. Die menschliche Notdurft geht in Tanks, die zur Regenzeit regelmäßig überlaufen. Zu selten, und manchmal auch gar nicht, kommen Tankwagen, um diese abzupumpen. Das kostet zudem Geld. „Viele nutzen deshalb Flying Toilette. Soll heißen: Sie erledigen ihr Geschäft in kleine Plastiksackerl, die sie verknoten und irgendwohin werfen“, sagt Poop Pirate Sconto.

Sconto und die anderen jungen Männer tragen in jeder Hand einen großen Eimer mit Deckel. Für jeden gefüllten Kübel, den sie am Sonntag abholen, lassen sie einen leeren und einen Sack mit Sägespäne zurück. „Sägespäne sind sehr saugfähig und können deshalb Feuchtigkeit und Gerüche gut aufnehmen, zudem halten sie die Fliegen fern und fördern den Kompostierungsprozess“, erklärt er.

Mit ihren Kübeln, auf denen mit blauer Farbe die Namen der Haushalte gemalt sind, balancieren die Poop Pirates geschickt über Behelfsbrücken aus morschen Brettern, die über Kanäle mit schmutzigem Wasser führen. Sie schliddern über matschige Wege oder hüpfen von Stein zu Stein, um riesige Pfützen zu überwinden. Es ist Regenzeit. Wenn der Himmel seine Schleusen öffnet und dicke Regentropfen auf die Blechdächer trommeln, rauscht das Wasser über die lehmigen Wege und die Kanäle treten über ihre Ufer.

Schließlich müssen sie auch das Wasser aufnehmen, das von den Hügeln herunterkommt, dort wo der wohlhabende Teil der Stadtbewohner:innen hinter Mauern mit Stacheldraht lebt. Kampala ist eine Stadt aus Hügeln. Die reichen Bewohner:innen leben oben, die armen unten in den Sümpfen. Das war schon zu Zeiten des Königreiches Buganda so. Die britischen Kolonialherren setzten das fort. Ebenso die Reichen und Mächtigen des seit 1962 unabhängigen Uganda.

Gerade einmal 15 Prozent der Haushalte Kampalas sind an die Kanalisation angeschlossen. Trockentoiletten ersparen den Menschen Infektionskrankheiten, und sie sind robust und einfach zu warten. Unterstützt wird ihre Verbreitung vom Ghetto Research Labor in Uganda und der US-amerikanischen Organisation Give Love. Für Moureen Happy eine Antwort auf viele Probleme. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann Kayemba Djorna in einer der Hütten. „Eine eigene Toilette ist für mich als Frau wichtig, vor allem aber auch für meinen kranken Mann, der es ohne Hilfe nicht auf das öffentliche WC schafft“, sagt sie. „Ja, mein Name heißt tatsächlich glücklich“, sagt die 45-Jährige auf Nachfrage. Neben dem Bett ihres Mannes steht eine einfache Holzkiste mit einem Deckel und einer Toilettenbrille. Im Inneren befindet sich der Plastikeimer, den die Poop Pirates gleich austauschen werden. Obwohl er voll ist, stinkt es nicht in der Hütte. „Das erstaunt uns immer wieder“, sagt Moureen Happy.

Kreisläufe schaffen. Nachdem sie alle Eimer eingesammelt haben, bringen die jungen Männer diese auf einen Hof mit großen Boxen aus Beton. „Poop belongs to the loop“ (sinngemäße Übersetzung: Die Kacke gehört in den Kreislauf) steht an der Wand dahinter. Sie kippen den Inhalt der Eimer in die Boxen und vermischen ihn mit Küchenabfällen, dann schichten sie trockenes Gras und Mulch drauf. Mit einem Thermometer kontrolliert einer von ihnen die Temperatur. Der Kompost darf nicht zu heiß werden. Anschließend waschen die Männer die Eimer gewissenhaft mit Klobürsten und Seife aus.

Dass erfinderische Ideen eine große Wirkung erzielen, lässt sich auch am Zuhause von Bogere Muhammad Sconto erkennen. Gemeinsam mit anderen hat er auf einer ehemaligen wilden Müllkippe Boden aufgeschüttet und aus recycelten Materialien einen umzäunten Hof mit Ein-Raum-Unterkünften für Familien sowie einen Gemeinschaftsraum gebaut. Die dazugehörige Trockentoilette aus grünen Flaschenböden und hellblau gestrichenem Verputz nutzen neben den fünf Haushalten des Hofes noch einmal ebenso viele Menschen aus der Nachbarschaft. Drumherum wachsen auf dem Hof Tomaten, Kraut, Gurken, Minze und Mais in ausgedienten Kanistern oder Autoreifen. Es duftet. „Meine Frau sagt immer, wir leben hier im Paradies“, sagt Sconto. Dann zieht er einen Plastikvorhang auf und gibt den Blick auf einen mithilfe bunter Flaschenböden lichtdurchfluteten Raum frei. „Wo sonst findest du im Slum eine Dusche“, grinst er. Sconto weiß wovon er spricht, wenn er sagt: „Wir müssen eine bessere Energie in unsere Nachbarschaft bringen.“ Bei der Einführung von Trockentoiletten in Kampala geht es also um sehr viel mehr, als um die Nutzung von – ähhm – Gold.

Klaus Sieg ist freier Journalist, lebt in Hamburg und arbeitet weltweit zu den Themen Umwelt, Ernährung, Entwicklung und Energie.

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